Hier gibt es Gedanken zur aktuellen Situation von Michael Hock, M.A., Konfliktberater / Kommunikationstrainer
Regenbogenbus e.V., michael.hock@regenbogenbus.de
Diskutieren Sie oder Ihr, schreibt, was euch bewegt, fehlt, nervt…!
Dienstag, 28.4.2020:
„Erst recht für Erwachsene …“
Gedanken aus der Home-Office-Isolation (Teil 2)
von Michael Hock M.A., Konfliktberater / Kommunikationstrainer
Regenbogenbus e.V., Kompetenzstelle „Gewaltprävention im Erzgebirge“
Liebe Leserinnen und Leser,
vor einiger Zeit hatte ich die Idee, regelmäßig von Zuhause – neudeutsch: Home-Office – aus, einige Gedanken zu der aktuellen Situation veröffentlichen. Und wie gesagt, ich freue mich über Rückmeldungen und einen regen Austausch darüber – man darf hier ruhig auch völlig anderer Meinung sein.
Kontaktsperre für Kinder und Erwachsene, Berufsausübungsverbot und emotionale Überlastung haben in den zurückliegenden Tagen und Wochen ihre deutlichen Spuren hinterlassen. So hat wohl die Gewalt gegenüber Frauen und Kindern spürbar zugenommen. Für Paare und Familien können diese Tage und Wochen in den vier Wänden unendlich lang werden. Und wenn es keine Rückzugsmöglichkeiten für Groß und Klein mehr gibt, bricht die aufgestaute Aggression gegenüber den Schwächeren leicht aus: Dann wird geschlagen, gebrüllt, getreten oder körperliche Nähe erzwungen.
„Sind so kleine Hände, winz‘ge Finger dran, darf man nie drauf schlagen, sie zerbrechen dann.“ Schon 1978 hat Liedermacherin Bettina Wegner ihr vielleicht bekanntestes Lied „Kinder (Sind so kleine Hände)“ komponiert, das selbst die große US-amerikanische Folk-Sängerin Joan Baez mehrfach live präsentierte. „Für meine Kinder, für alle Kinder und erst recht für Erwachsene“, so Bettina Wegner zu ihrem Lied. Sie singt dort von Menschen mit Rückgrat. Es muss schon in den Kindern wachsen: „Ist so‘n kleines Rückgrat, sieht man fast noch nicht. Darf man niemals beugen, weil es sonst zerbricht. Grade, klare Menschen, wär‘n ein schönes Ziel. Leute ohne Rückgrat hab’n wir schon zuviel.“
Doch nicht nur, wer auf engem Raum als Familie mit Kindern zusammen ist, sondern alle, die jetzt in der Pflege, im Supermarkt und an anderen Orten besonders gefordert sind, können mit aufsteigendem Ärger konfrontiert werden. Die Corona-Krise wirft uns auf uns selbst zurück, auf unsere Hilflosigkeit, auf unser Ausgeliefertsein, das alles löst diffuse Ängste und oft auch Ärger bis hin zur blanken Wut aus. Doch wie damit umgehen, ohne auch diesem Gefühl einfach nur hilflos ausgeliefert zu sein? Ein Gefühl der Hilflosigkeit und Fremdbestimmtheit gegen ein anderes zu tauschen und sich dabei besser zu fühlen ist nicht entlastend und hilft uns nicht weiter. Wichtig wäre stattdessen, seinen Ärger bereits im Aufsteigen wahrzunehmen, weil er durchaus sein darf und nur so auch eingegrenzt, gestaltet und verwandelt werden kann. Wenn wir es dann noch schaffen, uns darüber klar zu werden, auf was wir in Wahrheit ärgerlich sind und diesen nicht an „Ersatzobjekten“, wie Kindern oder Lebenspartner*innen ausleben, dann können wir schon ein großes Stück besser damit umgehen.
So viel für heute, schöne Grüße aus der Home-Office-Isolation,
Michael Hock
Für alle ernst gemeinten Rückmeldungen, Diskussionsbeiträge o.ä. steht meine Mail-Adresse michael.hock@regenbogenbus.de zur Verfügung. Ich werde mich nach Möglichkeit in den kommenden „Gedanken“ damit auseinandersetzen. Danke!
Freitag, 3.4.2020:
Liebe Leserinnen und Leser,
da es in Zeiten der Ausgangs- und Kontaktbeschränkung zuweilen sehr sehr langweilig zuhause werden kann, möchte ich in regelmäßigen Abständen von meinem Zuhause aus einige Gedanken zu der aktuellen Situation veröffentlichen. Da es aber keine Nabelschau von mir werden soll, freue ich mich über Rückmeldungen und einen regen Austausch darüber – man darf hier ruhig auch völlig anderer Meinung sein.
Auf der Facebook-Seite des Systemischen Instituts Sachsen war dieser Tage ein Text zu lesen, der ein schönes Bild für die gegenwärtige Zerrissenheit beschreibt und den ich hier kurz in Auszügen wiedergeben möchte:
„Zurzeit fühle ich ein so ein nicht endendes „Schaukelgefühl“…“, so die Autorin des Textes. Und dieses Gefühl beschreibt sie in seiner Erlebnisreichhaltigkeit: Vor- und Zurückschaukeln macht riesen Spaß, unterschiedliche Blickwinkel und – noch eine Steigerung, wenn man in voller Geschwindigkeit in hohem Bogen nach vorn abspringen kann. Das ist die „normale“ Erlebniswelt des Schaukelns. „Im Moment ist dieses Gefühl bei mir und vielleicht bei vielen anderen Menschen auch vorhanden, jedoch ist es irgendwie anders …“, heißt es dort weiter. Nach vorne schaukeln steht in diesem Bild gleichbedeutend für Optimismus: „alles wird gut und wir kommen vielleicht sogar (sozial) gestärkt aus der ganzen Krise heraus“, nach hinten schaukeln steht für Skepsis und Pessimismus: Arbeitsplatzverlust, kein Geld mehr für Miete und Einkäufe, Überforderung der Home-Office-Eltern, Zunahme von Gewalt in Familien und Partnerschaften, Kinder vermissen ihre gewohnte soziale Umgebung in Kita und Schule, ihre Freunde und Verwandten … Das zum Teil belastende Unsichere im Moment, so der Text weiter, ist: Wir können n i c h t nach vorn abspringen von der Schaukel (wenn wir genug haben)…und wir sollten auch nach Möglichkeit nicht hinten runter fallen…! Wir m ü s s e n einfach weiter schaukeln, mindestens bis Ende April…. Mit so viel HOFFNUNG wie jeder/m möglich ist.
Soweit einige Auszüge aus dem Text. Ja, das ist eine wohl ziemlich treffende Beschreibung. Ich möchte es aber nicht gar zu negativ sehen: Was ist denn das eigentliche Bedürfnis (man kann auch Vergnügen sagen), sich auf eine Schaukel zu setzen? Doch normalerweise, um zu schaukeln. Klingt jetzt vielleicht doof, ist aber schon wichtig. Das „Schaukelgefühl“ ist doch in erster Linie(!) das Verlockende, das immer neue vorwärts und rückwärts gleiten. Und nicht das nach vorne abspringen (macht sicher auch Spaß, wenn man sich nichts dabei bricht, wie meine Tochter im zarten Alter von 5 Jahren am Tag vor unserer geplanten Urlaubsreise) und schon gar nicht hinten runterzufallen (außer vielleicht im Rahmen eines speziellen Judo-Trainingskurses). Also, tun wir doch einfach das, was am Schaukeln so vergnüglich ist – wir schaukeln – vor und zurück, vor und zurück, vor und zurück … Aber jetzt mal Spaß beiseite. Die in diesen Tagen und Wochen wichtigsten Tugenden, oder vielleicht etwas moderner ausgedrückt, die wichtigsten Resilienz-Bausteine, sind
meines Erachtens GEDULD, AKZEPTANZ dessen was gerade jetzt da ist, und ein SORGFÄLTIGES ÜBERDENKEN unserer individuellen wie gesellschaftlichen WERTEORIENTIERUNG. Gerade letztere stellt uns vor die Frage: Was ist uns IN DIESEM MOMENT bei aller vorhandener Ungewissheit, bei (noch) fehlenden verlässlichen Informationen wichtiger zu schützen? Gesundheit und Leben oder Arbeit, Einkommen und Lebensqualität in Form von frei wählbarem Freizeitverhalten? Die Antworten darauf können durchaus gegensätzlich ausfallen, das ist völlig legitim. Sie allerdings davon abhängig zu machen, ob ich mich selbst zu einer so genannten RISIKOGRUPPE zähle oder nicht, ist angesichts der 12-, 13- und 16-jährigen Corona-Opfer in den vergangenen Tagen und den zahlreichen Mittdreißigern, die in deutschen Kliniken derzeit in zum Teil kritischem Zustand auf Intensivstationen liegen, wohl – um im Bild der Schaukel zu bleiben – zu kurz gesprungen.
Aber auch andere dieser Resilienz-Bausteine, so etwa das eminent wichtige SELBSTWIRKSAMKEITSERLEBEN, sollte meines Erachtens ganz genau angeschaut und in seiner Bedeutung neu definiert werden. Damit wird das Erleben beschrieben, wenn ich etwas in meinem Leben erreichen will und ich dafür aktiv werde, dass es mir dann auch gelingt. AKTIV WERDEN, ist da ein wichtiges Stichwort. Es ist allerdings durchaus auch eine stärkende Erfahrung von SELBSTWIRKSAMKEIT, festzustellen, dass ich mit Zuhause-Bleiben / bzw. wenigstens schützender Distanz etwas wirklich Maßgebliches dazu beitragen kann, dass weniger Menschen durch mich krank und vielleicht auch weniger Menschen in Folge davon sterben werden. Das widerspricht natürlich unserem jahrzehnte-, ja, jahrhundertelang eingeübten und ständig gesteigerten Grundverständnis von WIRKSAMKEIT nur als direkte MACHBARKEIT. Wir haben zurzeit nicht viele Möglichkeiten direkter MACHBARKEIT – und diese Einsicht kränkt und tut weh. Wir müssen doch endlich ETWAS TUN! Die fordernden Stimmen werden seit Tagen lauter und lauter. Natürlich wächst auch Woche für Woche das Risiko größerer Folgeschäden in den Familien, Partnerschaften und nicht zuletzt an den Arbeitsplätzen. Wie gesagt, es geht um neue Abwägungen – Tag für Tag. Dennoch, solange NIEMAND die Folgen des Abspringens von der Schaukel ohne weitgehend gesichert erwartbarer Balance beim Aufkommen vorhersagen kann, solange ist es meines Erachtens wohl doch besser, noch ein Weilchen beim Vor und Zurück zu bleiben, diese vor allem emotionale Bewegung in uns geduldig WAHR- und auch ANZUNEHMEN – daneben aber auch neugierig auf die Umgebung unserer Lebenswelt – vor allem nach vorne – zu schauen. Dieser Resilienz-Baustein nennt sich übrigens IMPULSKONTROLLE – also nicht den ersten starken Impulsen unseres Unterbewusstseins oder Unbewussten gleich nachzugeben und zu handeln. Das gilt übrigens auch für die Massenvorratshaltung von Toilettenpapier … So viel für heute, schöne Grüße aus der Home-Office-Isolation, Michael Hock
P.S.: Wie gesagt, Für alle ernst gemeinten Rückmeldungen, Diskussionsbeiträge o.ä. steht meine Mail-Adresse michael.hock@regenbogenbus.de zur Verfügung. Ich werde mich nach Möglichkeit in den kommenden „Gedanken“ damit auseinandersetzen. Danke!